Rechtzeitig bevor sich der Ständerat als Zweitrat über die Energiestrategie beugen wird, hat der Bundesrat den Bericht zum "Haftungsrisiko des Staates bezüglich Atomkraftwerken" verabschiedet. Darin kommt er zum Schluss, "dass die Kostenfolgen eines Ereignisses wie in Tschernobyl oder Fukushima die Höhe der heutigen Versicherungsdeckung für nukleare Schäden (Versicherungsdeckung in der Schweiz derzeit 1 Milliarde Schweizer Franken, künftig 1,2 Milliarden Euro) und die finanziellen Möglichkeiten der Betreiber bei Weitem überschreiten." Mit anderen Worten sind die der Gesellschaft entstehenden Kosten eines grossen Unfalls nicht ausreichend internalisiert.
Für die Einschätzung der gesellschaftlichen Akzeptanz der Kernenergie ist dies ein höchst relevanter Punkt. Mit der faktisch begrenzten Haftung ist eine wesentliche Funktionsbedingung einer wettbewerblich koordinierten Wirtschaft beeinträchtigt. Der Ständerat wird diesen Umstand wahrscheinlich berücksichtigen, wenn er den "Atomausstieg" – soweit man nach den Änderungen des Nationalrates noch davon sprechen kann – berät.
Die vollständige Internalisierung der durch die Energieerzeugung entstehenden sozialen Kosten ist freilich auch für jeden anderen Energieträger zu beachten. Man darf sich durchaus fragen, ob es mit der Energiestrategie 2050 überhaupt noch einen Energieträger gibt, der seine sozialen Kosten voll selbst trägt. Grosszügig gestreute Subventionen für alle möglichen Produzenten und Spezialregeln für fossil-thermische Kraftwerke lassen eher daran zweifeln, dass dem Prinzip der Kostenwahrheit im Bereich der Energiepolitik noch Bedeutung zukommt.
St.Gallen, 6. Februar 2015