Eine hässliche Weihnachtsbeleuchtung ist nicht nur eine öffentliche Zurschaustellung des eigenen (schlechten) Gechmacks. Als lästige Lichtimmissionen sind solche weihnachtlichen Hausdekorationen auch bestens in der Lage, das friedliche Zusammenleben mit seinen Nächsten - den Nachbarn - empfindlich zu trüben. Es erstaunt nicht, dass sich auch schon Gerichte mit den so entstehenden, gar nicht weihnachtlichen Streitigkeiten befassen mussten. Dabei sind Gerichte ein denkbar ineffizienter Weg zur Lösung niederschwelliger sozialer Konflikte.
Gerichte sind aber auch hier der einzige funktionierende Weg zur Streitschlichtung, wenn andere Konfliktlösungsmechanismen furchtlos bleiben. In einer Zeit der zunehmenden Verrechtlichung des eigenen Platzes in der Gesellschaft ist klar, dass gewisse Personen ihre Rechte nicht nur als Optionen betrachten, sondern immer auch maximal zum Tragen bringen wollen. Nur aus der effektiven Durchsetzung ihrer vermeintlichen Rechte scheinen diese Leute Befriedigung ziehen zu können. Das gilt nicht nur für diejenigen, die gestützt auf ihre Eigentumsrechte andere mit ihren Emissionen belästigen, sondern auch diejenigen, die gestützt auf Schutzpositionen andere in ihren Freiheiten möglichst stark beschränken wollen. Das Bauchgefühl sagt mir, dass auch die Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz eine prozessfreudigere Gesellschaft geworden sind, in der jede vermeintliche und tatsächliche Rechtsverletzung nicht nur eingeklagt, sondern auch monetär entschädigt werden muss (Stichworte sind die "litigious society" und die "compensation culture"). Rechtschutzversicherungen und die manchmal wohl zu grosszügige Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege leisten dem Vorschub. Sollte diese Entwicklung tatsächlich so voranschreiten, so wäre dies schade und ein Abschied in Raten von gutschweizerischen Prinzipien wie "Mässigung" und "Pragmatismus".
In BGer 1A.202/2006 ging es konkret um die Weihnachtsbeleuchtung an der Zürcherstrasse 92 in Uitikon. Dort wurden mehrere, teils hohe Bäume sowie einige Sträucher dicht mit Leuchtgirlanden in verschiedenen Farben ummantelt und von leuchtenden Sternen und Monden gekrönt. Im Gartenbereich standen mehr als 10 von innen beleuchtete Figuren in verschiedenen Grössen, darunter Schneemänner, Weihnachtsmänner und Schafe mit einem Hirten. Die Garageneinfahrt wurde flankiert von einem aus Leuchtketten geformten Rentier und einem ebenfalls aus Leuchtketten geformten Pferdegespann. Das Garagentor wurde von einem Vorhang aus Leuchtgirlanden abgedeckt, darüber prankte ein leuchtender blauer Stern. An der Hausfassade traten eine Schneeflocke von über einem halben Meter Durchmesser, ein Stern mit Kometenschweif und eine von Tannenzweigen umrahmte Glocke markant in Erscheinung. Aufs Dach führte eine von Leuchtketten erhellte Leiter. Vom Dachvorsprung hing ein ca. 1 m langer Teppich aus Leuchtgirlanden; die Dachkante wurde durchgehend mit Glühbirnen geschmückt. Auf dem Dach befand sich ein Weihnachtsmann auf einem Rentiergespann, welches sich - vom Schlitten bis zum vorderen der 9 Rentiere - über fast die ganze Länge des Haupthauses erstreckte. Auf dem Garagendach standen drei weitere Tiere und ein Weihnachtsbaum.
Die frohe Botschaft für die Prozessfreudigen lautet, dass sich Nachbarn gegen eine "aussergewöhnlich grosse und helle Weihnachtsdekoration" gestützt auf den umweltrechtlichen Immissionsschutz (Art. 11 USG) und die baurechtliche Ästhetikklausel (§ 238 PBG ZH) wehren können. Die Gemeinde hatte nun das zulässige Weihnachtsbeleuchtungsmass festzulegen. Ob in dieser Sache schliesslich ein Kompromiss gefunden wurde - nur 5 Rentierchen und weniger beleuchtete Schafe? - ist leider nicht bekannt.
In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern meines Blogs frohe Weihnachten!
St.Gallen, 25. Dezember 2015