"Nun sag, wie hast du’s mit der Verfassung? Du bist ein herzlich guter Mann, allein ich glaub, du hältst nicht viel davon.“ Diese abgewandelte Gretchenfrage hat mich fast angesprungen, als sich Roger de Weck in einer wirklich hervorragenden Rede mit einer Verfassungsauslegung versuchte (nachzulesen auch hier): Gemäss seiner Auffassung ebne die Verfassung der SRG auch den Verbreitungsweg des Internets. Damit sei der Internetauftritt der SRG mit Videoplayer und Newsportal auch demokratisch legitimiert. Roger de Weck schliesst: "Einstweilen gilt der heutige Verfassungsartikel, den Kritiker weit weg vom Wortlaut interpretieren."
Wer geneigt ist, den Wortlaut von Art. 93 der Verfassung tatsächlich zur Kenntnis zu nehmen, wird jedoch zu anderen Schlüssen kommen. Die SRG wird in dieser Bestimmung mit keinem Wort erwähnt. Vielmehr ist von "Radio- und Fernsehen" insgesamt die Rede. Zur Verbreitung medialer Inhalte im Internet sagt die Verfassung nur (aber immerhin), dass der Bund diese Art der Verbreitung regulieren dürfe (Abs. 1). Betreffend den Service Public spricht die Verfassung jedoch explizit nur das Radio und Fernsehen an (Abs. 2).
Freilich gibt es dennoch Juristen wie z.B. den ehemaligen Direktor des BAKOM Martin Dumermuth, die es als möglich erachten, dass der Gesetzgeber einen Leistungsauftrag auch für das Internet vorsieht. Eine solche Auslegung kann sich jedoch nicht direkt auf den Wortlaut stützen, sondern muss nach den Regeln der Juristenkunst umständlich aus weiteren Indizien abgeleitet werden: So z.B. per Analogieschluss, wonach der Teletext (für die Millennials: siehe Bild oben) so etwas ähnliches wie das Internet sei. Es ist entsprechend eine Wertungsfrage, ob man solche Indizien höher gewichten will als den klaren Wortlaut der Verfassung. Roger de Weck ist also recht zu geben, wenn er bei dieser Frage einen Juristenstreit ausmacht; es ist jedoch klar seine Rechtsauffassung, die fern vom Verfassungswortlaut steht, nicht diejenige seiner Kritiker. Die Basis seiner Schlussfolgerungen ist insofern offensichtlich falsch.
St.Gallen, 9. September 2016